Einleitung
Klimaveränderung, wirtschaftlicher Wandel durch eine verstärkte Globalisierung, digitale Transformation, demografischer und sozialer Wandel – all diese Prozesse führen global gesehen zu beträchtlichem Stress. Länder, Regionen, Städte und Dörfer sind herausgefordert auf diesen Stress – und immer öfter auch auf daraus resultierende krisenhafte Ereignisse (Starkregenereignisse, Stürme, Wirtschaftskrisen) – angemessen zu reagieren.
Ein derzeit intensiv diskutierter Ansatz, um Städte, Dörfer und Regionen krisenfester aufzustellen, ist der der Resilienz. Der Begriff wird seit langem in verschiedenen Disziplinen verwandt (wie z.B. der Psychologie, der Ökosystemtheorie, der Materialwissenschaften). Seit einigen Jahren wird Resilienz in Deutschland verstärkt in der Stadt- und Regionalentwicklung aufgegriffen und findet ebenfalls Eingang in die ländliche Entwicklungsreflexion.
Resilienz beschreibt die grundsätzliche Fähigkeit von Systemen, Krisen zu meistern und Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. Das gilt sowohl für einzelne Personen als auch für Systeme wie Dörfer, Landgemeinden, Städte und Regionen.
Im Handlungsfeld der ländlichen Entwicklung liegt der Fokus stärker auf der
gesellschaftlichen Dimension, wenngleich natürlich auch die individuelle
Resilienz der Menschen in vom einzelnen Menschen her gedachten
Entwicklungsprozessen wichtig ist. Nach Prof. Dr. Harald Kegler wird die
gesellschaftliche Resilienz definiert als „Kapazitäten einer Stadt, eines
Dorfes, um Störungen aufzufangen und die Basisfunktionen zu erhalten und zu
transformieren“ (WEGE-Symposium 2017, Vortrag).
Resilienz ist damit eine Steuerungsleistung eines Systems. Ein resilientes System kann immer nur für den Moment einen Zustand erreichen, der adäquat mit der Krise umgeht. Bei einer neuen Krise sieht die Lösung möglicherweise anders aus. Resiliente Systeme sind in der Lage sich hierauf flexibel einzustellen. Dörfer, Landgemeinden, Städte und Regionen sollten danach Streben sich diese Fähigkeit zu eigen zu machen. Dennoch ersetzt dies noch keine Orientierung für einen Entwicklungsprozess. Notwendig ist dazu eine Vision als Orientierungskraft. Eine Vision „gelingendes Leben im Dorf“ darf nicht lokal begrenzt sein; sie braucht regionale Weite.
Das 6. WEGE-Symposium beschäftigte sich mit dem Ansatz der Resilienz in der ländlichen Entwicklung und brach diesen auf die dörfliche Ebene herunter – wohl wissend, dass lokale/dörfliche Resilienz nur in einer Stadt-Land-Partnerschaft gänzlich erreicht werden kann.
Folgende Fragen standen dabei im Mittelpunkt des Symposiums: Wie lassen sich resiliente Dörfer charakterisieren? Wie können sich Dörfer resilient aufstellen? Was sind die ersten Schritte auf diesem Weg?
Dauner Thesen 2017
1. Mit Krisen umgehen, Handlungsfähigkeit erhalten:
Resilienz bedeutet, dass Menschen wie Systeme (Dörfer, Städte, Regionen etc.) die Fähigkeit besitzen, angemessen mit Krisen umzugehen und sich dabei selbst zu verändern. Dabei lernen sie im Umgang mit den Herausforderungen auch die Fähigkeit zur Selbsterneuerung. Lernende Systeme brauchen dazu Rückkopplungsschleifen, Zeit für Reflexion und den Austausch mit anderen.
2. Nachhaltiges Handeln als globale Orientierungskraft initiieren:
Auch resiliente Systeme benötigen ein Ziel, nach dem sie sich ausrichten können. Nachhaltiges Handeln ist ein solches Ziel und ein „ethisches Geländer“ für die Entwicklung von Dörfern, Landgemeinden, Städten und Regionen. Nachhaltigkeit bedeutet dabei so zu leben und zu handeln, dass Handlungsspielräume für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Gemessen werden kann das am ökologischen Fußabdruck, den wir in Deutschland im Sinne der Nachhaltigkeit verringern müssen.
3. Dörfer sind im Stress:
Dörfer befinden sich nicht nur im Wandel, sie werden sich zukünftig auch immer stärker auf krisenhafte Ereignisse einstellen müssen. Wetterkapriolen und Hochwasserereignisse sind hierbei bereits erste spürbare Auswirkungen, denen ländliche Räume ausgesetzt sind. Resilienz ist daher eine Fähigkeit, die sich die Dörfer aneignen müssen, wollen sie sich zukunftsgerecht aufstellen.
4. Vorteile des Dorfes nutzen:
Wollen Dörfer resilienter werden, so können sie auf den Vorteilen des dörflichen Lebens aufbauen. Kleinere soziale Einheiten, geringe Siedlungsdichte mit viel Freifläche, leichtere Gestaltung von regionalen Stoffkreisläufen sind Aspekte, die auf dem Weg zu resilienten Strukturen förderlich sind. Die kurzen Wege – die Menschen kennen sich und ihre Ressourcen – und die Überschaubarkeit des Lebensraums sind von Vorteil im Sinne der Resilienz. Auch haben sich Dörfer historisch gesehen als resiliente Raumstrukturen bewährt, an dieses Erfahrungswissen kann heute angeknüpft werden.
5. Dorfgemeinschaften als Basis stärken:
Resiliente Dorfstrukturen gründen auf einem starken Zusammenhalt der Menschen vor Ort. Dorfgemeinschaften und Nachbarschaften zu aktivieren und sie zu Sorgenden Gemeinschaften zu entwickeln ist daher ein wichtiger Schritt. Belastbare Sorgenetze für den Einzelnen aufzuspannen, Teilhabe und Mitwirkung am Dorfgeschehen zu ermöglichen und die Potenziale Aller im Sinne der Potenzialentfaltung zur Gestaltung des Lebensumfeldes in den Blick zu nehmen sind Aspekte starker Dorfgemeinschaften. Auf dieses Zusammenwirken kann ein Dorf auch im Krisenfall bauen, jedes Dorf auf seine eigene Weise.
6. Gemeinsam regional wirtschaften:
Um dem ethischen Geländer der Nachhaltigkeit Rechnung zu tragen, setzen resiliente Dörfer auf regionales Wirtschaften. Gemeinsam mit anderen Dörfern in der Region gestalten sie Stoff- und Energiekreisläufe und bauen regionale Wirtschaftskreisläufe auf. Die Vermarktung regionaler Produkte, Bürger-Energie-Genossenschaften aber auch der Einsatz regionaler Baustoffe und die Versorgung mit Obst und Gemüse aus dem eigenen oder dem Dorfgemeinschaftsgarten gehen in diese Richtung.
7. Immer im Austausch bleiben:
Resiliente Dörfer haben eine hohe Kommunikationsfähigkeit. In ihren sozialen Orten gestalten sie ihre Zukunft und suchen Lösungen im Umgang mit Herausforderungen/Krisen. Darüber hinaus stehen sie im Austausch mit anderen, über verschiedene Wege (Internet, Verkehrswege) sind sie mit anderen verbunden. Dies sichert im Krisenfall schnelle Hilfe und gegenseitige Unterstützung.
8. Sich auf den Weg machen:
Will ein Dorf stärker resiliente Strukturen aufbauen, so setzt dies eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Dorf, seiner Geschichte, seinen Werten, seinen Stärken und Schwächen voraus. Dabei wird auch seine Störanfälligkeit und Verwundbarkeit klar. Diese Erkenntnis ist die Basis, um sich in einem Lernprozess mit Resilienz beschäftigen und eine Vision
für die eigene Zukunft entwickeln zu können. Zukunftskonferenzen sind ein guter Weg, um mit dieser Auseinandersetzung zu beginnen. Es gilt, die Selbstorganisationsfähigkeit des Dorfes für diese Aufgaben zu stärken.
9. Selbstverantwortung vor Ort übernehmen:
Die Kraft des Dorfes liegt in der lokalen Kompetenz und Selbstverantwortung. Im Umgang mit einer Krise muss klar sein, wer die lokale Selbstverantwortung übernimmt. Die Stärkung demokratischer Strukturen in den Dörfern und Landgemeinden fördert die Verantwortungsübernahme vor Ort. Gemeinderäte, Beiräte etc. müssen daher in den Dörfern in ihren Kompetenzen und finanziellen Spielräumen gestärkt werden. Auch zivilgesellschaftliche Gruppen wie bspw. Bürgervereine sind in der Lage als „Keimzellen“ für den Aufbau resilienter Strukturen vor Ort zu fungieren. Gegenwärtig sind die Dörfer und Landgemeinden einem Trend der Entmündigung durch die oberen Gebietskörperschaften in Bund und Ländern ausgesetzt. Daher muss von diesen die örtliche und kommunale Selbstverantwortung immer wieder eingefordert werden.
10. Mehr als kurzfristig notwendig erscheint:
Nimmt man Resilienz ernst, so ist nicht alles unter dem Gesichtspunkt von Effizienz zu betrachten. Zusätzliche als Reserve vorhandene (redundante) Strukturen, die den Ausfall eines Systems auffangen, sind wichtig. Damit nehmen sie die gleichen Funktionen wahr, erfüllen sie jedoch auf unterschiedliche Weise – wie das Beispiel einer Brücke neben einer Furt zeigt. Beide dienen dazu, den Fluss zu überwinden. Darüber hinaus ist das vorsorgende Beschäftigen mit möglichen Störungen/Krisen sowie die Erarbeitung und Etablierung von angepassten resilienten Strukturen von Bedeutung. Opulenz – geistig und wo sinnvoll auch faktisch – muss daher wieder Einzug in die ländliche Entwicklung halten.
Die Dauner Thesen wurden im Rahmen des 6. WEGE-Symposiums am 15.08.2017 in der Verbandsgemeinde Daun diskutiert und im Nachgang verabschiedet.
Sie orientieren sich am aktuellen Diskurs rund um Resilienz in der Stadt-, Dorf- und Regionalentwicklung und greifen die aktuellen Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Harald Kegler von der Universität Kassel auf.
Das WEGE-Symposium ist ein Einladungs-Fachworkshop, auf dem aktuelle Fragen der ländlichen Entwicklung diskutiert werden.
Die Dauner Thesen haben beschlossen:
- Alistair Adam-Hernández, HAWK Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen
- Volker Amrhein, Diakonie Deutschland
- Gerd Becker, ehrenamtlich tätiger WEGE-Botschafter und 1. Vorsitzender des Vereins Bürger für Bürger e.V.
- Dr. Tim Becker, Institut Denkunternehmung, Daun
- Markus Göbel, Gemeindereferent Katholische Kirchengemeinde Daun, Koordinierungsstelle Dauner Viadukt von Jung bis Alt
- Dr. Ulf Häbel, Pfarrer i.R., Vogelsberger Generationennetzwerk/ Nachbarschaftsfamilie e.V.
- Daniela Heinz, Mitarbeiterin im WEGE-Büro, VGV Daun
- Prof. Dr. Gerhard Henkel, Universität Duisburg-Essen, Institut für Geographie, Humangeograph und Autor
- Rüdiger Herres, Jugendpfleger VG Daun
- apl. Prof. Dr.-Ing. Harald Kegler, Universität Kassel, FB 6 ASL, FG Stadterneuerung/Planungstheorie: Nachhaltige Planung/Planungsgeschichte
- Werner Klöckner, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Daun
- Prof. Axel Lorig, Ministerialrat a.D. Honorarprofessor und Lehrbeauftragter an der Hochschule Mainz
- Sven Nieder, Fotograf
- Andreas Rötering, Caritasverband Westeifel, Dienststellenleiter Daun
- Caroline Seibert, IfR Institut für Regionalmanagement
- Angela Simon, Bürger für Bürger e.V.
- Dr. Andrea Soboth, IfR Institut für Regionalmanagement
- Dr. Bernd Steinmetz, Bistum Trier, Lehrbeauftragter für TZI
- Dr. Sabine Theunert, Vorsitzende der LAG Vulkaneifel
- Nicolai Thömmes, Auszubildender, VGV Daun
- Verena Welter, Mitarbeiterin im WEGE-Büro, VGV Daun
- Marlene Wierz-Herrig, ehrenamtlich tätige WEGE-Botschafterin
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