Einleitung:
Gesellschaftliche Wandlungsprozesse wie der demographische, der soziale, der wirtschaftliche und technische Wandel stellen ländliche Räume vor große Herausforderungen. Die Frage, ob und wie sich ländliche Räume unter diesen Voraussetzungen erfolgreich entwickeln können, muss neu beantwortet werden.
Ländliche Veränderungsprozesse auf allen Ebenen (regional, kommunal, örtlich) sind nötig, um sich an geänderte Rahmenbedingungen anzupassen und wünschenswerte Entwicklungen auszulösen.
Ländliche Veränderungsprozesse zu gestalten bedeutet auch, Strukturen umzubauen. Die Entwicklung neuer Solidargemeinschaften ist nötig – und dies im Zusammenwirken von zivilgesellschaftlichen Akteuren, professionellen Dienstleistern und der öffentlichen Hand.
Sorgende Gemeinschaften als neue Solidargemeinschaften in ländlichen Räumen können hierbei als Leitbild dienen. Sie haben die aktive Teilhabe aller Menschen zum Ziel. Die gegenseitige Sorge für hilfe- und unterstützungsbedürftige Menschen steht dabei im Mittelpunkt. Dies fordert alle gesellschaftlichen Kräfte – in ländlichen wie in urbanen Räumen.
Das Bundesfamilienministerium beschreibt Sorgende Gemeinschaften wie folgt: Eine „Sorgende Gemeinschaft“ ist das gelingende Zusammenspiel von Bürgerinnen und Bürgern, Staat, Organisationen der Zivilgesellschaft und professionellen Dienstleistern bei der Bewältigung der mit dem demografischen Wandel verbundenen Aufgaben.[1]
[1] ISS im Dialog: Sorgende Gemeinschaften – vom Leitbild zu Handlungsansätzen, Fachgespräch am 16. Dezember 2013, Frankfurt am Main, ISS-Aktuell 03/2014, S. 4.
Doch wie können Sorgende Gemeinschaften in ländlichen Räumen gestaltet werden? Sind sie in ländlichen Räumen gleichzusetzen mit funktionierenden Dorfgemeinschaften oder reicht die bisherige Institutionalisierung des Dorfes nicht aus? Welche Schritte müssen und können in ländlichen Veränderungsprozessen unternommen werden, um Sorgende Gemeinschaften zu befördern?
Diesen Fragen widmete sich das 4. WEGE-Symposium und ordnete das Leitbild Sorgender Gemeinschaften in ländliche Veränderungsprozesse ein.
DAUNER THESEN 2014
- Neue Sorgekultur als Basis einer Sorgenden Gemeinschaft:
Die gegenseitige Sorge umeinander ist ein menschliches Grundbedürfnis, wir wollen uns um unsere Mitmenschen sorgen. Ein wertschätzendes Umfeld mit einer hohen Bedeutung von Werten wie Würde des Menschen, Toleranz, Mitgefühl, Selbstbestimmung, Menschlichkeit und Solidarität ist Basis für den Aufbau von Sorgenden Gemeinschaften. Sorgende Gemeinschaften verstehen wir als die zukunftsweisende Kultur neuen Handelns für unser gemeinschaftliches Leben in Dorf und Region. - Vom Füreinander zum Miteinander:
In Sorgenden Gemeinschaften bringen sich die Menschen mit ihren Ressourcen und Potenzialen ein. Die vollständige Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft – unabhängig von Hilfs- und Unterstützungsbedarf - ist dabei das Ziel. Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Senioren und Hochbetagte gestalten miteinander ein gutes, langes Leben. - Selbstverantwortung und Selbstorganisation der kleinen Einheiten:
Familien und Nachbarschaften spannen in Sorgenden Gemeinschaften im Zusammenspiel mit bürgerschaftlich Engagierten, gemeinnützigen Organisationen und privatwirtschaftlichen Dienstleistern ein „Sorgenetz“ für den Einzelnen auf. Auch die öffentliche Hand wird aktiv – dort, wo die kleinen Einheiten an ihre Grenzen geraten. - Neue Formen der organisierten Verantwortlichkeit und Sorge:
Sorgende Gemeinschaften bauen auf eine gegenseitige Selbstverpflichtung zur Hilfe und Unterstützung. Familien – die früheren Sorgenden Gemeinschaften – können dies häufig nicht mehr gewährleisten. Weder funktionierende Nachbarschaften noch das Ehrenamt können diese Lücke schließen. Sorgende Gemeinschaften brauchen daher heute mehr Professionalität und neue Organisationsformen. - Tradition des Miteinanders in ländlichen Räumen:
Ländliche Räume haben gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Sorgenden Gemeinschaften. Sie können auf ihre Erfahrungen im Vereins- und Genossenschaftswesen (Raiffeisen) zurückgreifen. - Ein Dorf kümmert sich um seine eigenen Belange:
Für Menschen in ländlichen Räumen ist ihr Dorf der Nahraum, in dem sie sich bewegen. Hier kennt man sich, der persönliche Bezug ist gegeben. Dieser Nahraum mit seiner Dorfgemeinschaft ist die Ebene, auf der Sorgende Gemeinschaften gestaltet werden müssen. Hierzu bedarf es einer Aufgabenübertragung auf die dörfliche Ebene. Dörfer sind als neue Ebene der subsidiären Eigenverantwortung zu etablieren. Sie benötigen hierzu veränderte Rahmenbedingungen wie auch das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der kleinen Einheiten. - Hausaufgabe generationengerechte Infrastruktur:
Sorgende Gemeinschaften setzen eine Basis an generationengerechter Infrastruktur sowie Hilfe- und Unterstützungsangeboten voraus. In den Dörfern benötigen wir generationengerechten Wohnraum, Angebote der Daseinsvorsorge, barrierefreie, öffentliche Kommunikationsgebäude als Treffpunkt der Menschen vor Ort sowie Hilfe- und Unterstützungsangebote u.a. in den Bereichen Pflege, Betreuung, Begegnung, haushaltsnahe Dienstleistungen und Mobilität. - Dachorganisation als starker Partner für die Dörfer:
Auf dem Weg zu Sorgenden Gemeinschaften tauchen viele neue Fragen auf. Diese können und müssen nicht von jedem Dorf alleine und immer wieder neu beantwortet werden. Eine Dachorganisation kann helfen, bestimmte, wiederkehrende Inhalte zu bearbeiten, organisatorische Aufgaben zu übernehmen und Fragen von z.B. Geschäftsmodellen, Trägerschaften und Finanzierungen zu beantworten. Der Landkreis ist dabei in der Regel die richtige Ebene für die Gründung einer Dachorganisation. Kreisverwaltung, Unternehmen und Institutionen müssen in einer solchen Dachorganisation zusammengebunden werden. - Anlaufstelle in jedem Dorf:
Wir benötigen in jedem Dorf eine Anlaufstelle, um Sorgende Gemeinschaften organisieren zu können. Die Anlaufstelle ermittelt Bedarfe, bündelt Informationen, Beratungsangebote und Hilfeleistungen und vermittelt passgenaue Lösungen für den Einzelnen. Ein Dorfmanager organisiert die Bewältigung dieser Aufgaben. Je nach Größe und Leistungsfähigkeit des Dorfes können Teile der Aufgaben gemeinsam mit den Nachbardörfern organisiert werden. - Allen Dörfern ein Angebot machen:
Ein kommunaler/ regionaler Veränderungsprozess kann helfen, Sorgende Gemeinschaften in der Fläche umzusetzen. Er richtet sich an alle Dörfer und gestaltet einen gemeinsamen Lernprozess, vermittelt gute Beispiele und zeigt neue Lösungswege auf. Ebenso werden Qualifizierungsmaßnahmen für Akteure und Bürger angeboten. Mit diesem sogenannten Multidorfansatz sollen Dörfer in die Lage versetzt werden, ihren eigenen Weg zu gehen. Einzelne Dörfer können als Modelldörfer mit gutem Beispiel vorangehen und Vorbild für andere sein. Der Multidorfansatz kann auch helfen, dorfübergreifende Lösungen zu finden, wenn Herausforderungen auf der Dorfebene nicht bewerkstelligt werden können. - Bund und Länder in der Pflicht:
Dörfer, Kommunen und Regionen alleine sind mit dem Aufbau von Sorgenden Gemeinschaften überfordert. Sie benötigen die Hilfe von Bund und Ländern. Neben konkreten Hilfen bspw. beim Aufbau von Dachorganisationen sowie einer allgemeinen Sensibilisierungskampagne steht hierbei die Flexibilisierung von Regularien und Standards auf der Tagesordnung. - Gesellschaftlicher Gestaltungsauftrag:
Wenn wir das Leitbild Sorgende Gemeinschaft ernst nehmen und wirklich an der Umsetzung interessiert sind, müssen wir uns auch mit der Wertigkeit ländlicher Räume und der Interpretation von gleichwertigen Lebensverhältnissen in Stadt und Land auseinandersetzen. Damit verbunden sind die Notwendigkeit der Stärkung des Subsidiaritätsprinzips und eine angemessene Ausstattung der Dörfer und Kommunen. Letztlich geht es um die Entwicklung eines neuen Gesellschaftsmodells, das den besonderen Wert ländlicher Räume wahrnimmt. Sorgende Gemeinschaften sind damit eine Zukunftschance für ländliche Räume.
Die Dauner Thesen wurden im Rahmen des 4. WEGE-Symposiums am 10.10.2014 in der Verbandsgemeinde Daun diskutiert und im Nachgang verabschiedet.
Mit eingeflossen sind hier die Erkenntnisse des aktuell intensiv geführten Fachdiskurses rund um das Leitbild „Sorgende Gemeinschaften“. Hier sei in besonderer Weise auf den derzeit in der Erarbeitung befindlichen 7. Altenbericht „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune – Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften“ verwiesen. Die Dauner Thesen greifen zudem die Ansätze des Change Managements nach John P. Kotter sowie die Haltung und Methode der Themenzentrierten Interaktion nach Ruth Cohn auf.
Das WEGE-Symposium ist ein Einladungs-Fachworkshop, auf dem Fragen der visionären Regionalentwicklung und der Gestaltung von Veränderungsprozessen in ländlichen Räumen diskutiert werden.
DIE DAUNER THESEN HABEN BESCHLOSSEN:
- Dr. Tim Becker, Institut Denkunternehmung, Bamberg
- Bernhard Faller, Quaestio Forschung und Beratung, Bonn
- Dr. Ulf Häbel, Pfarrer i.R., Laubach – Freienseen
- Alfons Hausen, Hausen Consult
- Prof. Dr. Gerhard Henkel, Universität Duisburg-Essen, Institut für Geographie, Autor des Buches „Das Dorf. Landleben in Deutschland – gestern und heute“
- Dr. Maren Heincke, Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung (ZGV) der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Mainz
- Prof. Axel Lorig, Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz, Mainz
- Stephanie Müller, Deutsche Vernetzungsstelle ländliche Räume, in der BLE, Bonn
- Beatrix Optenhövel, Mitglied des Ruth Cohn Institut für TZI Rheinland/ Westfalen, Solingen
- Andreas Rötering, Caritas Verband Westeifel e.V., Daun
- Anja Saupe, Kreisverwaltung Vulkaneifel, Fachkraft für Demographiemanagement, Struktur- und Kreisentwicklung
Für den WEGE-Prozess:
- Werner Klöckner, Bürgermeister der Verbandsgemeinde Daun
- Dr. Sabine Theunert, Vorsitzende der LAG Vulkaneifel
- Alfred Bauer, Geschäftsführer der LEADER-Region Vulkaneifel
- Verena Jardin, Mitarbeiterin der VGV Daun, MORO-Geschäftsstelle
- Daniela Troes, Mitarbeiterin der VGV Daun, WEGE-Büro
- Gerd Becker, ehrenamtlich tätiger WEGE-Botschafter und 1. Vorsitzender des Vereins Bürger für Bürger e.V.
- Marlene Wierz-Herrig, ehrenamtlich tätige WEGE-Botschafterin
- Andrea Soboth, IfR Institut für Regionalmanagement
- Caroline Seibert, IfR Institut für Regionalmanagement
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